Wilhelm Klein

Wilhelm Klein und die Prager Archäologie

1. Leben und Werk

Wilhelm Klein wurde am 28. November 1850 in einer armen jüdischen Familie in der damals österreichischen Bukowina geboren. Habilitiert hat er sich in Wien. In den folgenden Jahren in Prag hat er sich weiter mit den attischen Vasen beschäftigt. In dieser Zeit entstanden besonders zwei Bücher. Im Jahr 1883 Die griechischen Vasen mit Meistersignaturen und im Jahr 1890 Griechische Vasen mit Lieblingsinschriften. Klein war ein Vorgänger von John Beazley; er hat die stilistischen Verhältnisse und die chronologische Abfolge verstanden und auch die Datierungen von Vasengruppen im Sinne der späteren Forschung entworfen. Zu den Zeit- und Malerbeziehungen hat er auch die Lieblingsinschriften erfolgreich verwendet. Doch blieb er nicht ohne Kritik; schon seine vasologischen Arbeiten wurden dafür kritisiert, dass die stilistischen Kriterien hier ohne tiefere Begründung verwendet worden sind und seine Zitierweise nicht immer in Ordnung war. Und wirklich war in seiner Arbeitsweise etwas Subjektives; oft versuchte er sich stärker als Künstler dem persönlichen Stil der einzelnen alten Meister zu nähern als der rein positivistische Wissenschaftler sich erlauben darf. Besonders scharf ist die Besprechung von Friedrich Hauser in der zweiten Ausgabe der Berliner philologischer Wochenschrift vom 3. November 1900. Dessen Feindschaft Klein gegenüber ist auch in der erhaltenen Korrespondenz und in seiner Kritik seines Mitarbeiters Doz. Arthur Mahler sichtbar. Danach widmete sich Wilhelm Klein meist der Skulptur des 4. Jahrhunderts und des Hellenismus. Seine beiden Bücher über Praxiteles (Praxiteles 1898, Praxitelische Studien 1899) bringen eine Zusammenfassung des Themas; auch hier konnte er sein künstlerisches Verständnis für die Kunstwerke erfolgreich entfalten; manches blieb freilich auch sehr subjektiv, und auch diese Bücher stießen auf Kritik. Von seiner dreibändigen Geschichte der griechischen Kunst war der erste Band weniger erfolgreich als die folgenden, und der beste ist zweifellos der dritte über die hellenistische Kunst. Sein vielleicht bedeutendstes Werk Vom antiken Rokoko hat Klein im Jahre 1921 veröffentlicht; der damals Siebzigjährige hat hier Privatdozent Dr. Arthur Mahler hat ihn einige Male vertreten sein tiefes Verständnis für diese hellenistische Periode voll entfaltet und dieses Buch gilt bis heute als Grundwerk für die gesamte hellenistische Bildhauerei. Doch auch auf dem Feld der Skulptur haben seine Gegner seine Subjektivität und die Fehler in den Fußnoten oft kritisiert. In seinem Nachlass finden sich auch Briefe (z. B. von Conze aus Berlin vom 16. September 1897), welche die Schwierigkeiten dokumentieren, die er mit der Publikation seiner Beiträge für das Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts und wohl auch anderswo hatte. Das »Mädchen von Anzium« hat er als griechischen Originals erwiesen und der italienischen Regierung geholfen, diese Statue für das Nationalmuseum in Rom zu erwerben. Für diesen Dienst hat ihm die italienische Regierung einen Staatspreis angeboten, aber er nahm stattdessen den sog. goldenen Schlüssel zu den Häusern in Pompeji mit freiem Zugang zu allen Monumenten und hat dort die Malerschulen der Waldmalereien studiert. Seine Pompeianischen Bilderstudien I-III sind als Artikel erschienen in den Jahresheften des Österreichischen Archäologischen Instituts (zuletzt Bd. 23, 1926) und wurden damals nur wenig beachtet. Doch wenn man der modernen Forschung über die jetzt entschlüsselten Malerschulen von Pompeji und Herkulaneum folgt, muss man feststellen, das Klein damals schon neben der Thematik auch Malerschulen und -hände gleichsam prophetisch erkannt hat. Beschreibungen von Klein findet man in Lebenserinnerungen von Josef Šusta und Max Brod; und Prof. Jindřich Čadík hat mir über ihn manches erzählt. Klein war nicht groß von Statur, nicht viel über 160 cm, rothaarig und in seinen Manieren ein Sonderling. Wenn Jindřich Čadík als Assistent zu ihm kam, um von ihm in seinem Institut ein Buch für seinen Chef Prof. Vysoký von der Tschechischen Universität zu ausleihen, musste er manchmal lange warten oder seine Frage wiederholen, bis Klein ihm antwortete; er war wohl tief in seine Ideen versunken. – Wilhelm Klein starb am 2. Februar 1924.

2. An der Universität: Institut und Sammlung von Gipsabgüssen

Vorlesungen hat Klein meist über die Skulptur, mythologische Bilder, den trojanischen Sagenkreis und ähnliche Themen gehalten; fast immer hielt er auch archäologische Übungen in der Gipssammlung ab. Warum Klein in Prag geblieben ist und nicht seinen Vorgängern an die bedeutenderen Universitäten folgte, hatte mehrere Gründe. Er stand nicht immer in freundlicher Beziehung zu allen Kollegen, und seine Arbeitsweise wurde von mehreren als zu subjektiv empfunden. Von Seiten des Ministeriums in Wien und der Staatshalterei in Prag erhielt er jedoch oft Unterstützung für seine Reisen nach Italien und Griechenland, und für seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde ihm wiederholt Beurlaubung. meist für ein Semester, genehmigt (Mehrere Dokumente davon sind in seine Personalakten im Archiv der Karls-Universität erhalten). Studienreise nach Italien, Deutschland, Frankreich und England Wilhelm Klein hat das Institut, das 1882 bei der Teilung der Prager Universität dem deutschen Zweig zufiel, von Eugen Petersen am 18. Juli 1885 übernommen und fast vierzig Jahre geleitet. Erst am 12. Oktober 1923 wurde er von der Leitung des Instituts durch die Übergabe an eine Kommission amtlich enthoben; dann wurde zwei Monate später, am 12. Dezember 1923, die Leitung an Camillo Praschniker übergeben. Die Bibliothek des Instituts war für die damalige Zeit sehr gut, neue Bücher wurden jedes Jahr angeschafft. Wilhelm Klein hat sich jedoch besonders um die Vergrößerung der Sammlung der Gipsabgüsse gekümmert. Aus den 485 Inventarnummern der »plastischen Lehrmittel« (1883) wurden im Jahr 1923 schon 789 Stücke. Mit Unterstützung des Schulministeriums in Wien und besonders der Landesverwaltung Böhmens hat er einige Male größere Summen für den Einkauf von Abgüssen erhalten. Aus Paris konnte er eine große Gruppe von Abgüssen erwerben. Unter den Briefen, die mit dem Einkauf von Gipsabgüssen zusammenhängen, sind besonders folgende erhalten: aus dem Louvre von A. Piccard und Héron de Villefossse (15.11. 1903), von M. Gherardi aus Rom, 23.9.04, von Franck Bechelt, Kopenhagen, 18. 10. 1900, einige von Paul Arndt (über einen Abguss von Aphrodite 23.3. 1896; über andere 7.8. 1897); Paul Hartwig, am 22. 10. 1907 datiert. Andere von W. Amelung, am 15. 10 und 6. 11. 1915 (?). ben, andere durch die Französische Schule aus Delphi. Vom Britischen Museum kaufte er Köpfe vom Mausoleum von Halikarnassos und mehrere andere Kopien, aus Italien die etruskischen Reliefs des Wagens von Perugia und den Kopf von Arizia, manch anderes aus dem Prado; aus anderen Sammlungen besonders die Werke des 4. Jahrhunderts und des Hellenismus. Einige Einzelstücke hat er als Geschenke erhalten, er selbst hat auch einige Abgüsse seinem Institut geschenkt. So etwa die Kopie einer Bronzestatuette in englischem Privatbesitz, die er in seinem Praxiteles-Buch als Abb. 2. vorstellt. Die meisten Bestellungen an die Gipsformereien gingen nach Deutschland und Österreich – viele Gipse kamen aus Wien, Berlin, Dresden und Leipzig, andere jedoch aus dem Britischen Museum, dem Louvre, den Museen in Lyon, Delphi und Kopenhagen.3 Nach dem Krieg kamen noch einige Abgüsse als Spenden der böhmischen Sparkasse sowie einige Vasen-Geschenke. Der größte Zuwachs war jedoch die von Klein zusammengestellte Auswahl der Gipse aus der Sammlung der Prager »Gesellschaft Patriotischer Kunstfreunde« nach der Verstaatlichung der Prager Kunstakademie im Jahr 1889; der Rest ist noch bis heute in der Akademie der bildenden Künste. In seiner Zeit kamen auch einige Vasen und Scherben in die Sammlung, die in den beiden CVA-Bänden (Corpus Vasorum Antiquorum) der Karlsuniversität publiziert sind.

3. Die Rekonstruktionen Wilhelm Kleins

Mit Josef Myslbek, einem berühmten tschechischen Bildhauer, auch von kleinem Wuchs, dessen Werk auch die Statue des Heiligen Wenzel am Prager Wenzelsplatz ist, war er befreundet. Myslbek schickte Klein seine Studenten zur Hilfe bei seinen Rekonstruktionen (darunter wird in den Quellen besonders Rudolf Meyerl mit Namen erwähnt), und er verfolgte seine Bemühungen stets mit Interesse. Die Rekonstruktionen sind noch heute in der Sammlung erhalten, heute allerdings leider von Prag nach Hostinné und Litomyšl ausgelagert. Aristogeiton aus der Gruppe der Tyrannenmörder erhielt den Kopf aus dem Prado (Inv. Nr. I 15 und I 506), vom vatikanischen Torso von Doryphoros hat er die Supporte abgenommen und darauf den Kopf Lancelotti aus dem Thermenmuseum gesetzt (Inv. Nr. I 504 und 689). Zu den berühmtesten Rekonstruktionen Kleins gehört die Statuengruppe mit Athena und Marsyas von Myron: Die Athena der Bronzerekonstruktion im Liebighaus in Frankfurt a. M. ist mit dem lateranischen Marsyas verbunden, von welchem Klein die nichtantiken Zutaten abgenommen hat (Inv.-Nr. I 737 und 521). Polyklets Diadumenos aus dem Britischen Museum ist von ihm mit einem Kopf aus dem Prado zusammengesetzt (Inv.-Nr. I 557 und 660). Bei der verwundeten Amazone (wohl derjenigen des Phidias) hat er einen Jünglingskopf aus dem Museo Baracco verwendet; dieser war jedoch zu klein und musste später wieder abgenommen werden (I 760, 745). Der Prager Stephanosknabe (jetzt in Litomyšl) besteht aus dem Torso der Villa Albani und dem Kopf des Lateranischen Museums (Inv.-Nr. I 524 und 698). Der Torso Valentini, die römische Kopie einer Jünglingsstatue aus dem 5. Jahrhundert, erhielt von Klein den Kopf eines Athleten aus Perinthos in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (Inv.-Nr. I 694 und 695). Zwei Werke von Kephisodotos sind ebenfalls in seinen Rekonstruktionen enthalten: Eirene hält ein Kind aus dem Nationalmuseum in Athen (Inv.-Nr. I 56 und 495); Hermes mit Dionysos ist auf weniger befriedigende Weise zusammengesetzt aus der Statue aus dem Prado und dem Palatiner Fragment im Thermenmuseum (Inv.-Nr. I 732). Der Hypnos von Praxiteles aus dem Prado erhielt den Kopf aus Civitella d’Arno bei Perugia aus dem Britischen Museum (I 705ab). Bei der Muse Polymnia nahm Klein die Kopie aus Berlin und den Kopf aus dem Dresdner Albertinum und vervollständigte auch andere Partien nach dem Reliefbild »Homers Apotheose« des Archealos von Priene (Inv. I 742 und 741) – der Hals kam leider etwas zu kurz. Die Aufforderung zum Tanz, nach einer Münze von Kyzikos rekonstruiert, besteht aus vier Teilen: der Torso des Satyrs stammt aus den Uffizien, der Kopf aus dem Louvre, der Torso der Nymphe aus Brüssel und ihr Kopf aus Dresden (Inv. Nr. I 727-730). Der Diskophoros, wahrscheinlich von Naukydes, besteht aus dem Körper der Vatikanischen Museen und dem Kopf aus dem Museo Nuovo. Außerdem hat er auch andere Abgüsse verbessert, unnötige Supporte und moderne Zusätze entfernt (vgl. Kat. Wilhelm Klein, Hostinné 1989).

4. Briefe

Von und an Wilhelm Klein sind auch einige Briefe erhalten. Eine Gruppe der erhaltenen Briefe stammt von dem Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollak (1868–1943); er bat Klein um Auskünfte, hat für die Prager Sammlung einige Stücke erworben und z.T. auch gestiftet. Aus allen seinen Briefen geht hervor, dass die beiden Männer enge freundschaftliche Beziehung verband (Fast alle sind undatiert, wohl zwischen 1900 und dem ersten Weltkrieg. Spätestens am 8. 6.1905 schon mit Anrede »Lieber Klein«. Der letzte Brief von Pollak wird auf den 11.10.1922 datiert). Der Architekt und Archäologe Wilhelm Dörpfeld (1853–1940) freut sich am 8. Dezember 1899, dass Klein nach Athen komme und reserviert für ihn ein Zimmer. Die Briefe von Paul Wolters beziehen sich auf Vasen mit Kalos-Inschriften, am 16. Juli 1890 schreibt über ein neues Graffito und beschwert sich, dass die Arbeit an den Akropolis-Scherben zu langsam vorwärts geht. Der Klassische Archäologe und Altphilologe Hugo Blümner (1844–1919) schreibt in einem Brief vom 30. Juni 1896 über eine Besprechung in den Archäologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich-Ungarn. Einige erhaltene Briefe sind von Eugenie Sellers, die sich seine Schülerin nennt (10.2.1893, dann 18.8.18 97). Und der bekannte Gräzist und Archäologe Ronald Montagu Burrows (1867–1920), der damals in Manchester lehrte, bat am 9. Dezember 1909 um kritischen Kommentar zu seinen Arbeiten im Annual of the British School at Athens und im Journal of Hellenic Studies, insbesondere über eine Anticharos-Inschrift.

Bibliographie

[Anonym]: Verzeichnis der Archäologischen Sammlung im Clementinum zu Prag. Prag 1873. Bartoš, Josef, Jan Bouzek: Galerie antického umění v Hostinném nad Labem – Katalog odlitků antické plastiky. Praha 1978. Bouzek, Jan: Dějiny klasické archeologie a antického sběratelství v českých zemích. –In: Bouzek et al.: Dějiny archeologie II. Praha 1984, p. 121–140. Bouzek, Jan, Iva Ondřejová, Magda Čtvrtníková: Wilhelm Klein – Rekonstruce antických soch – Antické gemmy v raném středověku (with English summary). Trutnov: Galerie Antického Uměni Hostinné, Museum Podkrkonoši, Okresni Muzuem 1989. Bouzek, Jan, Iva Ondřejová, Jiři Musil: Museum antického sochařství a architektury (Resümé. Museum of Classical Art and Architecture Litomyšl). Praha 1995. Gotsmich, Alois, mit der Einleitung von Camillo Praschniker: Führer durch die Sammlungen des Archaeologischen Instituts der Deutshcen Universität in Prag. Prag 1927 (auch tschechisch, Průvodce po sbírách Archeologického ústavu Německé university). Klein, Wilhelm: Euphronios. Eine Studie zur Geschichte der griechischen Malerei. Wien: Gerold in Komm. 1879 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien; Philosophisch- Historische Klasse: Denkschriften. 29,2). Klein, Wilhelm: Die griechischen Vasen mit Meistersignaturen. Wien: Gerold 1883 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien; Philosophisch-Historische Klasse: Denkschriften, 33,2,2). – 2., verm. u. verb. Aufl. 1887. Klein, Wilhelm: Die griechischen Vasen mit Lieblingsinschriften. Mit 1 Titelbilde und 37 Abbildungen im Texte. Wien: Commission Tempsky 1890 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien; Philosophisch–Historische Klasse: Denkschriften. 39,2). – 2., verb. und verm. Aufl. Leipzig: Veit 1898. Klein, Wilhelm: Praxiteles. Leipzig: Veit 1898. Klein, Wilhelm: Geschichte der griechischen Kunst. Bd. 1–3. Leipzig: Veit 1904–1907. Bd. 1: Die griechische Kunst bis Myron. 1904. Bd. 2: Die griechische Kunst von Myron bis Lysipp. 1905. Bd. 3: Die Kunst der Diadochenzeit. 1907. Klein, Wilhelm: Vom antiken Rokoko. Wien: Österr. Verlagsgesellschaft E. Hölzel 1921. Praschniker, Camillo: Wilhelm Klein: 20. Nov. 1850–2. Febr. 1924. Prag: Selbstverl. 1924. Schiering, Wolfgang: Die klassische Archäologie an den deutschsprachigen Universitäten. – In: Ulrich Hausmann (Hrsg.): Handbuch der Archäologie. Allgemeine Grundlagen der Archäologie. München: Beck 1969, S. 67–93. Svoboda, Karel: Antika a česká vzdělanost od obrození do první války světové. Praha 1927.

By Prof. Jan Bouzek